150 Kinder und Jugendliche machen sich auf den Weg zu einer Konferenz.
Weil Konferenzen einfach wichtig sind.
Eigentlich sollte es eine Probenpause werden, kein Abschied. Aber dann, ein unbedachter Moment, ein kurzer Ausrutscher und plötzlich ist alles anders. Das war’s mit der „Konferenz der Tiere“ für „Elefant“ Umeer. Diagnose: Knöchelbruch. Dabei wollte er doch nur mal kurz zwischendurch kicken.
Aber Umeer ist nicht der einzige Unglückliche. Krankenhausbesuche sind keine Seltenheit während der Probenphase zur „Konferenz“. Allein eine Woche vor der Premiere müssen drei Stipendiaten ins Krankenhaus gebracht werden. Zum Glück kommt es zu keinen weiteren Ausfällen, aber das Fußballspielen – das wird vorsichtshalber erst einmal bis nach der Premiere verboten.
Und das alles wegen einer Konferenz?
Szenenwechsel: Einige Wochen vor der Premiere, ebenfalls in Dresden.
Die letzten Schüler des Carl-Maria-von-Weber-Gymnasiums sind längst nach Hause gegangen und schon im Wochenende, da strömt plötzlich eine neue Schülerschar durch die Hintertüren des Sächsischen Landesmusikgymnasiums für Musik in Dresden. Sie sehen erschöpft aus, die 150 FairTalent-Stipendiaten der Roland Berger Stiftung, besonders die Thüringer und die Hessen. Viele Stunden haben sie in den Bussen verbracht, um sich schließlich zum nächsten Probenwochenende in Dresden zusammenzufinden.
Und das alles wegen der Konferenz.
Das Lernen fällt den FairTalent-Stipendiaten nicht schwer. Und trotzdem – jeden Monat ein Wochenende opfern für die „Konferenz“-Proben? Das ist schon ganz schön viel verlangt! „Es ist schon anstrengend, nach einer stressigen Woche auch am Wochenende noch zu proben, aber die Freude über den Fortschritt der Proben und über das Wiedersehen mit den Freunden aus der Stiftung lässt alle Anstrengung ganz schnell vergessen“, sagt eine Stipendiatin zwar müde, aber zuversichtlich.
Der Weg zur Konferenz. Ein Seitenblick zu den Proben in Thüringen und Hessen.
The early bird catches the worm: Bei der Ferienakademie in Thüringen erscheinen alle Stipendiaten pünktlich frühmorgens zum Warm-Up – naja, fast alle. Eine laute Stimme ertönt und es wird augenblicklich so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte, ehe Musik im Raum erschallt.
In Hessen geht es weiter mit „Schritt und Schritt und Drehung“ bei der Probe für den Afrikasong. Immer mehr lassen sich die ersten Erfolge sehen. „So langsam ist es schon bühnenreif“ meint ein Stipendiat, dessen Optimismus noch nicht der großen Probenmüdigkeit zum Opfer gefallen ist. Ein paar Stunden nach der Tanzprobe macht sich die Duftnote des Schweißes bemerkbar. Aber keineswegs auf eine unangenehme Weise. Der Schweiß steht für die unermüdliche Arbeit und die enorme Kraft, die jeder in dieses Projekt investiert.
In Thüringen sind inzwischen alle Stipendiaten aus dem Probensaal der EJBW Weimar verschwunden. Die Tür geht langsam auf und der 8-jährige James alias Ulumwaba tritt ein. Ist es denn überhaupt möglich, dass dieser kleine Mensch schon verstehen kann, wie wichtig auch die kleinste Rolle für das gesamte Stück ist? Oft schütteln die Älteren nur die Köpfe über die Kleinsten. Denn während die Mitarbeiter der Semperoper wichtige Anweisungen geben, tollen sie herum und spielen. Konzentration wird nicht bei allen groß geschrieben, aber das gilt nicht nur für die Kleinen…
Dazu kommt noch, dass vielen noch nicht so ganz klar ist, wie sich die eben geprobte Szene in das große Ganze der „Konferenz“ fügt, denn Durchlaufproben sind zu diesem Zeitpunkt selten, probt doch jedes Bundesland erst mal für sich. Die Kunst steckt im Detail.
„Es ist wirklich sehr verwirrend“, stöhnt ein Stipendiat leicht verzweifelt. „Wir hatten bisher nur regionale Proben in unserem eigenen Bundesland und kennen das gesamte Stück noch nicht richtig. Erst später werden wir zusammenfügen, was zusammen gehört, heißt es. Jetzt sind wir noch nicht so weit.“
Unter diesen Voraussetzungen starten die ersten gemeinsamen Proben bei der Ferienakademie in Sachsen. Das kann ja heiter werden! Die Stipendiaten sollen einen Überblick bekommen, wann welche Szene im Stück vorkommt und was davor schon alles geschehen ist, heißt es. Das Team von der Semperoper ordnet an, dass jeder Stipendiat sich einmal die Szenen der anderen Bundesländer ansehen sollte, um die Zusammenhänge für sich zu erschließen. Wenn das nur so einfach wäre!
Und dann, endlich – die erste Begegnung mit der Semperoper Dresden. Was für ein Gefühl, als wir dieses große Haus betreten. Doch neben allem Staunen und aller Bewunderung machen sich plötzlich auch Zweifel breit: „Hier sollen wir auftreten? Hier, in diesem geschichtsträchtigen Gebäude, wo sonst nur Profis auf der Bühne stehen? Wie viele Personen fasst die Oper, 1.400? Die werden uns alle zusehen?“ Nervöses Tuscheln geht durch die Reihen der Stipendiaten.
Es heißt, „die Stiftung habe eine Kooperation zur Semperoper gesucht – und gefunden“. Warum? „Vermutlich, weil wir hier sicher gehen können, auf ein Team zu stoßen, das mit uns wirklich professionell arbeitet“, versuchte ein Stipendiat die Frage zu beantworten. Wieso aber nun eigentlich „Die Konferenz der Tiere?“ In dem Roman von Erich Kästner geht es ja bekanntlich darum, dass die Tiere beschließen, es sei allerhöchste Zeit, eine eigene Konferenz zu halten. Die Bemühungen der Erwachsenen, ihre Probleme wie Krieg und Armut in den Griff zu bekommen, sind bisher nur gescheitert. Die Tiere fürchten um ihr eigenes Wohl und vor allem auch um das der Kinder. „Denn sie sind die Hoffnung von morgen!“, brüllt der Löwe einmal im Stück. Diese Aussage soll nicht nur an die Zuschauer gerichtet sein, sondern gibt vielmehr auch den Stipendiaten zu verstehen, dass sie einmal die Erwachsenen sein werden, die Entscheidungen treffen. 150 kleine Hoffnungsträger, die sich sich ihrer Verantwortung immer bewusster werden. Deshalb also „Die Konferenz der Tiere“.
Und dann wäre da noch der ganz einfache Grund, „dass möglichst viele Stipendiaten die Chance bekommen sollen, teilzunehmen“, wie der Librettist Manfred Weiß erklärt. Es sind 150 Kinder und die wollen natürlich auch beschäftigt werden.“
Doch wie macht man ein Stück wie dieses für Kinder derart ansprechend?
Mit dieser Frage hat sich vor allem Johannes Wulff-Woesten beschäftigt, der die Musik zur „Konferenz der Tiere“ komponierte. Es sollte eine Mixtur aus Slapstick, Filmmusik und einem Hauch von Oper werden, um die Kinder dazu anzuregen, sich mit Freude zu präsentieren und sich auch in den Melodien wiederzufinden.
„Die Konferenz der Tiere“ ist ein zeitloses Stück, das eine wichtige politische Botschaft in sich trägt: Gebt den Kindern eine Stimme! Versucht nicht, sie nach Euren eigenen Vorstellungen zu formen, sie zur Vernunft zu bringen und sie zu einem Abbild Eurer selbst zu machen. So wird sich die Welt nie ändern!
Und wie sie zum Nachdenken anregt, diese Konferenz! Am Ende eines Jahres harter Arbeit und intensiver Proben haben die Stipendiaten die Botschaft des Stücks verinnerlicht und brennen dafür, sie zu vermitteln. Auch die Dynamik der Gruppe hat sich sehr verändert: „Wir sind so viel mehr zusammengewachsen, es ist unglaublich!“, sagt zum Beispiel eine Stipendiatin, als man sie zur Stimmung hinter den Kulissen befragt. Und ja, wirklich, die Stipendiaten fühlen sich tatsächlich wie „Stiftungs-Familie“, wo es auf jeden einzelnen ankommt. Man hilft einander, die Kostüme anzuziehen, und auch dabei, den Druck gemeinsam zu ertragen, der ohne Zweifel auf jedem einzelnen lastet.
Vielleicht ist genau dieser Zusammenhalt der Faktor, der das Theaterstück so einzigartig macht. 150 Kinder und Jugendliche fiebern der Premiere entgegen und können es nicht erwarten, in ihren eigens für sie angefertigten Kostümen die eigens für sie geschriebene Rolle auf die Bühne bringen. Wilde Löwen bekommen zittrige Beine, Gazellen vergessen ihre Texte und vor allem die Grönland-Touristen, die als erste auf der Bühne zu erscheinen haben, sind nicht mehr ansprechbar. Die Ansprache von Roland Berger, bevor der Vorhang sich hebt, scheint ewig lang zu sein. Adele, eine Grönland-Touristin, die die ganze Zeit schon auf der Bühne stehen muss, wirkt angespannt. Die Freude, die erst kurz vorher noch sprudelte, scheint verflogen. Dann erklingt die Ouvertüre, dirigiert von Johannes Wulff-Woesten, dem Komponisten. Energisch führt er den Taktstock und treibt das Orchester des Sächsischen Landesmusikgymnasiums Karl Maria von Weber in Dresden zu Höchstleistungen an. Dann endlich die Erlösung: Es geht los. Alle Anspannung scheint vergessen und man ist vollkommen in seiner Rolle. Die Stipendiaten, die gerade nicht auf der Bühne stehen, sammeln sich in den Garderoben und verfolgen das Stück über den Bildschirm. Immer wieder sind „Einrufe“ von Tiergruppen zu hören. Es herrscht Hektik. Da läuft eine Kojotin über den Flur, um genügend Zeit zu haben, ihr nächstes Kostüm – das der Aviaqu – anzuziehen.
Die über ein Jahr geprobten Abläufe müssen jetzt perfekt funktionieren. Eine Stipendiatin versichert uns, dass alle nervös sind, etwas könnte schief laufen. Vor allem nachdem am Vortag bei der Generalprobe eben nichts großartig danebengegangen war – am Theater üblicherweise ein ganz schlechtes Omen für die Premiere. Aber zum Glück hat es wohl gereicht, dass Mareike, die „Mutter“, bei der Generalprobe am Ende ihres Solos gestolpert ist.
Dann Schnitt. Alles wird dunkel. Es ist vorbei. War das alles nur ein Traum? Ein wunderschöner, langer Traum mit Höhen und Tiefen, der jetzt zu Ende geht? Nein, das Licht geht an. Die Zuschauer springen von ihren Sitzen auf und jubeln laut. Standing Ovations! Es ist geschafft.
Das Publikum und die Kritiker sind begeistert: „Wir sind sprachlos. Was die Stipendiaten da heute geleistet haben, ist unglaublich! Wir freuen uns sehr, dabei gewesen sein zu dürfen“, sagt ein Mentor aus Thüringen. „Ein gelungenes Projekt für junge Menschen und eigentlich zu schade, um es nach zwei Aufführungen zu den Akten zu legen“, heißt es in der Sächsischen Zeitung.
Allen Stipendiaten steht die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. „Es hat geklappt! Kein Fehler! Unsere Aussage ist angekommen: ‚Es geht um die Kinder!’“
Vorbei ist die Konferenz. Es darf wieder Fußball gespielt werden!
von Raphael Fischer, Farnaz Nasimiarini, Noelle Roensch, Luisa Urban, Marcus Scholz, Eren Yildiz